Wie muss sich die Personalentwicklung verändern in einer Zeit, in der immer mehr Unternehmen nach Antworten auf die VUCA-Welt suchen? Brauchen wir (noch mehr) neue Methoden oder müssen wir unsere Einstellungen und Haltungen überdenken? Die Theorie U liefert mit den vier Ebenen des Zuhörens wertvolle Anregungen für eine erfolgreiche Personalentwicklung, die sich auf die Herausforderungen der Zukunft einstellt: Learning from the emerging future!
Inhaltsverzeichnis
Wie zukunftsfit sind die aktuellen Konzepte der Personalentwicklung?
Dazu zählen das Wissen und die Kompetenzen, die für die erfolgreiche Bewältigung zukünftiger Herausforderungen benötigt. Es dürfte sich herumgesprochen haben, dass man mit Standardwissen und -prozessen, keine komplexen Probleme lösen kann. Komplex und kompliziert ist eben nicht das gleiche.
Für ein kompliziertes (oder verständlicher ausgedrückt ein umständliches) Problem gibt es bereits eine Lösung. Das Ausfüllen einer Steuererklärung ist kompliziert. Zuerst muss man sämtliche Ein- und Ausgabenrechnungen sammeln, diese verschieden Kategorein zu ordnen, Freibeträge herausrechnen und dann das Kilometergeld dazu rechnen, oder so ähnlich. Für mich ist das etwas kompliziert, deshalb hole ich mir diesbezüglich Unterstützung von einem Experten, der über das entsprechende Fachwissen verfügt – einen Steuerberater. Komplizierte Probleme lassen sich durch Experten*innen lösen.
Bei einem komplexen Problem handelt es sich (meist) um eine neuartige Herausforderungen deren Lösung noch nicht bekannt sind – Stichwort VUCA. Dazu zählen jegliche Art von Prognosen, seien es die Entwicklung der nächsten Quartalszahlen, der Umsatzentwicklung oder die Wetterprognose. Man hat eine Reihe von Variablen, ein oder mehrere Vorhersagemodelle und im Idealfall noch so etwas wie Eintrittswahrscheinlichkeiten. Dies ist oftmals unbefriedigend und es wird auf den wichtigsten Faktor vergessen, dem Faktor Mensch. Der Mensch kann mehr als nur rationale Modelle erarbeiten und überprüfen. Otto Scharmer weist in der Theorie U auf die „four Levels of listening“ hin, und meint damit vier Ebenen des Zuhörens und des Wahrnehmens.
Im Folgenden gibt es einen kleinen Exkurs zur Theorie U. Wer sich noch nicht so intensiv mit der Theorie U beschäftigt hat, oder auch zur Auffrischung, dem sei der folgende Abschnitt inkl. dem Original-Video von Otto Scharmer empfohlen.
Ein kleiner Exkurs: Theorie U – 4 Ebenen des Zuhörens
Die Theorie U kann einerseits als Prozessmodell für Entwicklungen gesehen werden, andererseits auch als Rahmenmodell für die 4 Ebenen des Zuhörens. Dieser Beitrag richtet den Fokus auf die Ebenen des Wahrnehmens und Zuhörens.
Oftmals reicht dies nicht aus, und man braucht andere Herangehensweisen, welche auf Vertrauen und Zukunftsgerichtetheit basieren. Leading from an emerging future – Von der Zukunft her führen. Ein zentraler Baustein dabei ist das Zuhören zu lernen, ja Sie haben richtig gelesen: dem Zuhören kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
Vorweg muss erwähnt werden, dass man nicht automatisch im „Zuhör-Modus“ ist. Man kann auch im „Weghör-Modus“ unterwegs sein, einige Beispiele:
- man davon überzeugt ist alles zu wissen, und braucht daher auf die Einschätzung (nicht Meinung) von Experten*innen nicht
- Wenn etwas schief geht, ist es wichtiger einen Schuldigen zu finden als der Ursachen auf den Grund zu gehen
- Oder man will einfach nicht wahrhaben, dass etwas nicht rund läuft oder man etwas nicht weiß.
Kommen wir nun zu den vier Ebenen des Zuhörens:
- 1 Downloading
- 2 Seeing
- 3 Sensing
- 4 Presencing
Literaturtipps:
SCHARMER, Otto (2014) Theorie U: Von der Zukunft her führen: Presencing als soziale Technik (3. Aufl.)
SCHARMER, Otto (2018) The Essentials of Theory U: Core Principles and Applications (Taschbuch – englisch)
SCHARMER, Otto (2019) Essentials der Theorie U: Grundprinzipien und Anwendungen (Taschenbuch)
Theorie U und die aktuelle Personalentwicklung
Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage: Wie zukunftsfit sind unsere Aus- und Weiterbildungssysteme sowie die Konzepte der Personalentwicklung? In der Überblickstabelle sind
- die vier Ebenen des Zuhörens,
- die zentrale Logik der Ebene,
- die Rolle der Lernenden (Schüler*innen, Studierende, Teilnehmer*innen, Coachee, etc.),
- die Rolle der Lehrenden (also jene die für den Inhalt und die Prozessgestaltung verantwortlich sind, wie z.B. Lehrer*in, Professor*in, Trainer*in, Coach, etc.) und
- die Beziehungsgestaltung dargestellt.
Die Begriffe in der Tabelle stammen im Original von Otto Scharmer, und wurden von übersetzt und in den Kontext der Personalentwicklung übertragen.
Ebene 1: Downloading von Anleitungen und Standards
Die zentrale Logik der Downloading-Ebene bilden Input und Autoritäten. Damit ist gemeint, dass jeder Schüler einen Standard-Input lernen muss. Was zu diesem Standard gehört wird von Autoritäten (der Schule, der Universität, dem Lehrer, der Professorin, usw.) vorgegeben. Weiters wird die Kompetenz für die Vermittlung dieser Inhalte den Lehrer*innen zugeschrieben, welche folglich im Mittelpunkt stehen:
„Der Lehrer weiß, was richtig ist.“
Ebene 2: Kompetenznachweis durch Zertifikate und Diplome
Die vorherrschende Logik auf der zweiten Ebene ist effizenz- und outputgetrieben. Der Nachweis von Wissen und Kompetenz erfolgt durch bestandene Tests. Wer ein standardisiertes Prozedere (z.B. Curriculum, Studienordnung, Gesetzesbestimmungen, Normierungen durch internationale Verbände, usw.) erfolgreich bewältigt, erhält eine Bestätigung in Form eines Zertifikat, Diplom, Eintrag in eine Liste oder ähnliches. Dieses Prozedere ist sicher tauglich, um nachzuweisen, dass eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt über ein bestimmtes Fachwissen verfügt hat.
„Das kann ich nachweisen!“
Jedoch bleibt bei den Zertifikaten offen, ob die Stimme des Zynismus „Das kommt in unseren Standards nicht vor, daher brauchen wir gar nicht weitermachen.“ überwunden werden kann.
Ebene 3: Im Zentrum stehen die Fragen der Lerndenden
In der dritten Ebene des empathischen Zuhörens stehen die Fragen der Lernenden im Mittelpunkt. Dazu ist ein gewisses Maß an Fachwissen und Kompetenzen (Know-How) in einem Themenbereich notwendig, um inhaltlich am Dialog teilnehmen zu können. Dies muss aber nicht durch ein Zertifikat nachgewiesen werden. Ab der dritten Ebene verliert die Konkurrenzlogik an Bedeutung, und es ist nicht mehr wichtig eine Diskussion zu gewinnen. Zunehmend werden die sozialen und kommunikativen Kompetenzen wichtiger, um einen Dialog auf Augenhöhe führen zu können. Dazu zählen z.B. aktives Zuhören und Antworten in Form von Ich-Botschaften. Auch die Rolle des Trainers (bzw. des Vortragenden) wandelt sich hin zum Moderator und Faciliators. Neues Wissen entsteht durch einen empathischen Dialog und wechselseitiges Feedback. Die Dialogteilnehmer*innen müssen jedoch dazu bereit sein, ihre Einstellungen in Frage zu stellen und ihre eigenen Standpunkte zu verlassen. Es geht also darum, die Stimme des Zynismus „Das ist eine nette Anregung, aber es funktioniert ja eh nicht.“ zu überwinden.
Wie gut ein Austausch auf der dritten Ebene funktioniert, ist von den kommunikativen Kompetenzen des schwächsten Mitglieds und dessen Bereitschaft auf einen empathischen Dialog einzulassen abhängig. Oftmals sind hier vorgegeben Dialogformate wie die Kollegiale Fallberatung sehr hilfreich.
„Das habe ich / haben wir gelernt“
Beobachtungen aus der Praxis: Es gibt Settings und Formate, welche (eigentlich) auf Ebene 3 abzielen. Dazu zählen z.B. BarCamps oder auch die Kurzversion davon, die so genannten Meetups. Ein/e Teilnehmer*in stellt dabei durch einen kurzen Input ein Thema vor, und danach wird diskutiert. Es werden fachliche Meinungen ausgetauscht, man erklärt sich gegenseitig warum etwas (nicht) funktioniert, und so weiter. Es ist oftmals ein Wettstreit der Ideen, und weniger ein empathischer Dialog. Die im Alltag vorherrschende Konkurrenz-Logik hindert die Teilnehmenden an einem echten Dialog, und das Austauschformat „rutscht“ auf Ebene 2 – dem konkurrierenden Austausch von Argumenten – zurück.
Auf dem Weg zur vierten Ebene gilt es die Stimme der Furcht (Voice of fear) zu überwinden. Auf individueller Ebene sind Selbstreflexion und Selbsterfahrung, kommunikative Kompetenzen (z.B. Ich-Botschaften) sowie ein gewisses Maß an Disziplin der Zurückhaltung von Vorteil. Man vertraut darauf, dass der Gedanke im Raum ist und daher (vielleicht von jemand anderen) ausgesprochen wird, UND dass man die eigenen Gedanken, Ideen, Impressionen hinzufügen kann. Ebenso versucht man, die Gedanken fokussiert zu kommunizieren und Monologe zu vermeiden. Auf Gruppenebene ist ein hohes Maß an Vertrauen und an partizipativer Sicherheit (psychological safety) unbedingte Voraussetzung. Weiters ist das räumliche Setting nicht zu unterschätzen – immerhin gilt es ja auch einen Raum des schöpferischen Gestaltens zu schaffen.
Ebene 4: Presencing – Learning from the emerging future
Die vierte Ebene des Lernens ist durch ein sehr tiefgehendes Level an Achtsamkeit gekennzeichnet. Scharmer bezeichnet dies als „Presencing“, die Quelle des eigenen Denkens und Handelns aufspüren. Presencing ist ein Kunstwort und setzt sich aus den Silben Presence (Gegenwart) und Sensing (Hinspüren) zusammen. Der Fokus der Aufmerksamkeit liegt in der gegenwärtigen sinnlichen Erfahrung, in der Reflexion während des Handelns. Auf der vierten Ebene geht es um mehr als fachliches Wissen (Ebene 2) und die empathisch-kritische Auseinandersetzung damit (Ebene 3), sondern um gemeinsame Entstehen-lassen von zukünftigen Projekten. Vor allem geht es dabei die Kompetenz zu entwickeln (und auch anwenden zu können), sich gemeinsam mit anderen auf den beiden Kernfragen einzulassen und Neues entstehen (emergieren) zu lassen:
Werte und Identität: Was macht mich aus? (im Original: Who am I ? Who are we?)
Visionen und Sinn: Wozu machen wir das? Wofür und für wen möchten wir Nutzen stiften?
Auf dem Weg zur vierten Ebene gilt es die Stimme der Furcht (Voice of fear) zu überwinden.
Auf individueller Ebene sind Selbstreflexion und Selbsterfahrung, kommunikative Kompetenzen (z.B. Ich-Botschaften) sowie ein gewisses Maß an Disziplin der Zurückhaltung von Vorteil. Man vertraut darauf, dass der Gedanke im Raum ist und daher (vielleicht von jemand anderen) ausgesprochen wird, UND dass man die eigenen Gedanken, Ideen, Impressionen hinzufügen kann. Ebenso versucht man, die Gedanken fokussiert zu kommunizieren und Monologe zu vermeiden. Auf Gruppenebene ist ein hohes Maß an Vertrauen und an partizipativer Sicherheit (psychological safety) unbedingte Voraussetzung. Weiters ist das räumliche Setting nicht zu unterschätzen – immerhin gilt es ja auch einen Raum des schöpferischen Gestaltens zu schaffen.
Beobachtungen aus der Praxis: Als Trainer (und auch als Teilnehmer) in der Erwachsenbildung habe ich schon viele räumliche Settings erlebt. Ich bin nach wie vor erstaunt – oder eigentlich erschreckt, wie weit verbreitet das klassische Schulsetting noch ist. Also vorne Tafel oder Beamer, dahinter in Reih und Glied die „Schulbänke“. Noch mehr erstaunt und erschreckt mich, wie widerstandlos dies von den Lernenden und auch von den Lehrenden hingenommen wird. Manchmal gibt es die verschärfte Variante: Die „Rien ne va plus-Bestuhlung“. Die „Nichts geht mehr-Bestuhlung“ besteht aus klassischem Schulsetting (z.B. drei Reihen mit je 6 Plätzen) welche jeweils mit einem Desktop-PC mit Fixverkabelung und 24 Zoll-Monitoren. Also doppelt gemoppelt, sowie Thujen und Zaun. Da „freut“ (Achtung Sakarmus) das Trainer*innen-Herz … Ich habe es trotz dieses „suboptimalen“ Settings meist auf Ebene 3 und in Ausnahmefällen auf Ebene 4 geschafft. Im Normalfall sind eine variable Bestuhlung, verschiebbare Tische, Platz zum Aufhängen der Ergebnisse (also Wände wo man Flipcharts hinpicken kann), funktionierende Stifte und etwas Kreativmaterial (wie z.B. Fotokarten) schon eine sehr gute Voraussetzung.
Auf der Ebene 4 ändern sich sowohl die Rollen der Beteiligten. Vom Lehrer-Schüler-Verhältnis wie auf Ebene 1 ist man mittlerweile weit entfernt. Die Rolle des Lehrenden wird mehr und mehr zum Prozessgestalter der die Teilnehmenden dabei unterstützt auf Ebene 3 und 4 vorzudringen. Dabei mutiert der „Lehrende“ vom Prozessgestalter, Moderator, Expeditionsleiter bis hin zum Geburtshelfer. Nach der Überwindung der Stimme der Furcht erschaffen alle Beteiligten („Lehrende“ und „Lernende“) eine wert- und sinnorientierte Vision als Grundlage für zukünftiges Prototyping und Performing sowie zukünftiges Handeln.
„Wir waren wie in einer anderen Welt, und haben diese geile Idee in die (unsere) Welt gebracht!“
Abschließende Betrachtungen
In der Beobachtung des aktuellen Personalentwicklung (und damit auch dem Aus- und Weiterbildungsmarkt) stehen Diplome und Zertifikate im Mittelpunkt. Diese testgetriebene Logik bleibt somit auf Ebene 2 hängen: „Jede/r kann und darf das machen, wofür er/sie einen Nachweis erbringen kann.“ In diesem System werden die Handlungsspielräume von Lehrenden UND von Lernenden eingeschränkt. Die Lehrenden (bzw. Bildungs- und Trainingsinstituten) müssen ihre Angebote so konzipieren, dass diese am Ende mit einem Zertifikat abschließen. Auch aus Teilnehmer*innen-Perspektive bleibt dieser im Fokus. Dabei bleibt es sekundär, ob der Zertifikats-Erwerb aus Eigeninteresse oder vom Arbeitgeber*innen intendiert wurde.
Was kann die Personalentwicklung von der Theorie U lernen?
Logik der Wissensvermittlung: Bislang war die zentrale Logik, dass man etwas weiß, wenn man es nachweisen kann (durch ein Diplom oder Zertifikat z.B.). Dies wird sehr oft durch schriftliche Tests abgeprüft, und es sind somit Gedächtnisübungen in mehr oder minder großem Ausmaß. Es stellt sich die Frage, ob diese Logik noch zeitgemäß ist? Also weg von „Ich habe so-und-so-viel (auswendig) gelernt.“ Und hin zum „Ich habe mich so-und-so-viele Stunden mit diesem Thema und dieser Fragestellung beschäftigt.“
Rolle der Lehrenden: In der Ebene 2 kann sich der Lehrende auf das Lehren von Fachwissen konzentrieren, damit die Lernenden am Schluss eine Prüfung zur Zertifizierung bestehen. Im Übergang zu Ebene 3 wandelt sich die Rolle der Lehrenden hin zum Moderator und Facilitator. Auf dem Weg zum Presencing (Ebene 4) wird der Lehrende zum Prozessgestalter und Geburtshelfer. der die Lehrenden dabei unterstützt die Stimme der Furcht zu überwinden.
Rolle der Lernenden: Auch diese Rolle ändert sich. Die Lernenden wandeln sich vom passiven Zuhörer (Ebene 1), Wissenswiedergeber (Ebene 2), aktiven Fragesteller (Ebene 3) hin zum schöpferischen Gestalter (Ebene 4).
Beziehungsgestaltung: Für die Öffnung des Fühlens (Sensing) braucht es einerseits soziale Kompetenzen auf Individualebene, allen voran das Beherrschen von aktivem Zuhören und Ich-Botschaften. Anderseits braucht es auch auf Team- und Organisationsebene eine Vertrauenskultur, in der ein Dialog auf Augenhöhe entstehen kann. Dazu braucht man partizipative Sicherheit (bzw. psychological safety). Darunter versteht man, dass man darauf vertrauen kann, alles sagen zu dürfen ohne dabei in eine Verteidigungsposition gedrängt zu werden oder gar ausgelacht zu werden.
Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Stimme der Furcht überwunden werden und die Öffung des Willens findet statt. Im Presencing ändert sich der Fokus der Aufmerksamkeit, es wird meist etwas stiller und man kann (gemeinsam) sämtliche Bedenken hinter sich lassen. Dies ermöglicht, alte Denkmuster los zu lassen, Neues kommen und entstehen zu lassen.
Schlussendlich bietet die Theorie U sehr gute Anregungen für eine erfolgreiche Personalentwicklung. Ich freue mich über Ihre Rückmeldungen, und stehe Ihnen sehr gerne für ein kostenloses Erstgespräch zur Verfügung.