Da ich mich selbst (auch) als Konstruktivist & Systemiker bezeichne, sehe ich mich der systemisch-konstruktivistischen Tradition verpflichtet.
Für mich wird dies an den Ausführungen von Heinz von Foerster zum konstruktivistischen Lernen sehr gut greifbar. Lernen Sie meinen Zugang dazu kennen, und lassen Sie sich durch drei Gedanken inspirieren
1. Weg von Frontalunterricht & „Auswendiglernen“
Die Beobachterorientierung besagt, „alles was gesagt wird, wird durch einen Beobachter gesagt“ (Maturana, 1998). Jede Art der Kognition beruht auf einer Konstruktion eines Beobachters, und kann somit nicht mit einer externen Wirklichkeit übereinstimmen. Der Beobachter rückt somit in das Zentrum, und bindet das Erkannte stets an den Erkennenden.
Die Autonomie des Erkennenden ist der zweite Kerngedanke des Konstruktivismus, und schwächt die Idee der externalen Veränderungsmöglichkeit eines Menschen radikal ab. Unabhängig vom Schulen-Denken der Wahrnehmung (Konstruktivismus, Neurobiologie, Soziologie, Psychologie, usw.) besteht relative Einigkeit darin, dass die Beobachtung nicht notwendigerweise frei aber innengeleitet, eigenbestimmt, autonom und nach eigener Logik abläuft. Alles was gesagt wird, wird somit auf eine eigenwillige Art und Weise an bestehende Erfahrungen angeschlossen.
Der dritte Kerngedanke geht von einem Abschied von einer absolut gedachten Wahrheit aus. In Worten Heinz von Foersters könnte man auch von der Aufgabe der Idee der Objektivität sprechen, einer Wahnvorstellung, Beobachtungen ohne einen Beobachter zu denken. In jeder Beobachtung ist die subjektive Konstruktion des Beobachters, mit seiner eigenen Logik des Erkennens enthalten, und diese entsprechen somit nicht den Kriterien der Objektivität, in der Beobachtung ohne Einfluss des Beobachtenden stattfindet.
„Objektivität ist die Illusion,daß Beobachtungen ohne einen Beobachter gemacht werden können“
Heinz von Foerster (1911-2002)
Wenn man die Postulate des Konstruktivismus ernst nimmt, kommt man zu einer anderen Einstellung über die universitäre Lehre, Training und Workshops – und damit auch über die Personalentwicklung. Der Fokus liegt demnach nicht mehr auf der Vermittlung, der Präsentation des (wahren) Wissens – also auf dem Inhalt, sondern wandelt sich hin zum Lernenden. Der Lernende selbst ist es, der entscheidet, ob er sich etwas beibringen lassen möchte, ob er sich auf einen Lernprozess – im Sinne einer Veränderung seiner bisherigen Annahmen – einlassen möchte. Der Lernende rückt somit in den Vordergrund, und wird zum aktiven und autonomen Konstrukteur. Geht man von der zentralen Annahme aus, das Lernen nicht erzeugt sondern nur ermöglicht werden kann, wandelt sich auch die Rolle des Lehrenden. Der Lehrende schafft Bedingungen und kreiert Lernumgebungen, welche sich an den Lernenden orientieren.
2. Die konstruktivistischen Rollen als Lehrender – als Trainer und Coach
Vorhin sind wir zum Schluss gekommen, dass die Lernenden (also Studierende, WorkshopteilnehmerInnen, usw.) im Vordergrund stehen. Lernen kann nicht erzwungen sondern nur durch entsprechende Lernumgebungen und Lernbedingungen ermöglicht werden. Daraus lassen sich die konstruktivistischen Rollen der Lehrenden ableiten: Geburtshelfer* bzw. eines sokratischen Maieut, Moderator, Irritationsagent sowie Forscher bzw. Expeditionsleiters.
Die erste Rolle des Lehrenden ist jene einer Art Geburtshelfer bzw. eines sokratischen Maieut wie es Pörksen (2014) nennt. Die Grundidee geht auf Sokrates zurück, und bezieht sich auf eine fragend entwickelnde Gesprächsführung. Der Lehrende fragt mehr als er antwortet, und versucht dabei die Lernenden in Aufruhr zu versetzen, ihren Geist anzuregen. In anderen Worten könnte man auch sagen, dass er die Lernenden aus der Komfortzone herausholen will. Der Begriff der Komfortzone bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man die eigenen bisher getroffenen Annahmen in Frage stellt, und es zulässt neue Information zu integrieren. Oder: Lernen stattfinden zu lassen.
Sollte die Verwirrung und Ratlosigkeit überhand nehmen, wechselt der Lehrende in die Rolle des Moderators. Er acht darauf, dass die Gesprächskultur eingehalten wird, dass Dialog stattfindet und mahnt nötigenfalls terminologische Genauigkeit ein. Er vertraut auf überraschenden Kräfte der Selbstorganisation der Lerngruppe. Als Qualitätsmaßstab dient nicht mehr die Menge des durchgenommenen Stoffes, sondern die Intensität der Beteiligung im Sinne der Erfüllung des dialogischen Prinzips.
Falls der Dialog in Richtung einer Lösung laufen sollte, tritt der Irritationsagent in Erscheinung. Er sollte die Lernenden dahingehend irritieren und wachsam halten, dass es keine einzig wahre Lösung geben kann. Er vertritt jedoch keinen eigenen Standpunkt, und stellt die anderen Meinungen oder den Konsens in Frage. Der Irritationsagent möchte die Vielzahl der Möglichkeiten aufzeigen, die hinter einer scheinbar eindeutigen Wirklichkeit stehen, welche sich mit Skepsis und Humor herauslesen lassen.
Die vierte Rolle ist jene des Forschers und Expeditionsleiters, welcher zwischen legitimen und illegitimen Fragen unterscheidet bzw. zu unterscheiden hat. Illegitime Frage sind – im Sinne Heinz von Foersters – Fragen, bei denen die Antwort im Vorhinein bereits bekannt ist. Demnach bestehen Tests und Prüfungen wo auswendig gelerntes Wissen abgefragt wird per se aus illegitimen Fragen. Legitime Fragen sind Fragen, wo die Antwort noch nicht bekannt ist und erst durch einen Schaffen und Gedankenprozess entsteht. In der Rolle des Expeditionsleiters versucht der Lehrende die Lernenden an legitime Fragen heran zu führen, welche durch die Beantwortung wiederum zu illegitimen Fragen werden und Bausteine für neue legitime Fragen bilden.
„Nur die Fragen, die prinzipiell unentscheidbar sind, können wir entscheiden.“
Heinz von Foerster (1911-2002)
Die Orientierung an den vier Rollen bedeuten für den Lehrenden jedoch nicht, dass er nicht mehr am neuesten Stand der wissenschaftlichen Entwicklung (state of the art) sein muss. Ein Lehrender sollte in seinem Fachgebiet entsprechend fit sein, um die Lernenden im Wechselspiel der vier Rollen an aktuelle legitime Fragen heranzuführen. Wissensvorsprung ist in diesem Kontext nicht mehr als Machtvorsprung zu verstehen, es sollte eher versucht werden auf Augenhöhe zu agieren. Lernen wird dann besser gelingen, wenn es gelingt das Thema, die Methode, die Herangehensweise aufzuspüren, jene Bedingungen sicherzustellen, mit der sich eine Lerngruppe am besten entwickeln kann.
3. Beispiele aus der Praxis
Ein Beispiel: In einem Universitätslehrgang für Projektmanagement habe ich insgesamt 48 Stunden mit den Lerngruppen an den Themen Persönlichkeit, Team, Gruppendynamik, Konfliktmanagement, Führung und bis hin zur lernenden Organisation gearbeitet. Was glauben Sie kommt beim Schlussfeedback, also bei der Abschluss- und Abschiedsrunde, auf die Fragen „Was hat Ihnen am besten gefallen?“ und „Wo konnten Sie am meisten mitnehmen?“
In den Übungen!
Diese Aussage spricht dafür, dass es gelungen ist, Lernmöglichkeiten zum Erfahrungslernen im Sinne des konstruktivistischen Lernens zur Verfügung zu stellen – und, dass dies auch angenommen wurde. Doch noch einmal zurück zum Anfang der Lehrveranstaltungsgestaltung.
Beim Einstieg ist es wichtig, die Erwartungen der Lerngruppe abzuklären. Erfahrungsgemäß tauchen in diesem Abschnitt immer wieder Wünsche auf, die sinngemäß auf “3 Schritte mit dem ich JEDEN Konflikt löse”, “Eine Methode, wenn ein Mitarbeiter nicht gehorcht” oder “EINFACHE Tricks wie ich ALLE überzeugen kann” – Kurzum: Oft werden einfache Lösungen und Anleitungen gewünscht, die für jedes (komplexe) Problem passen. Fairerweise muss man zugeben, dass am Markt, auf Xing, LinkedIn bzw. “im Internet” jeden Tag einfache Lösungen des Zuschnitts “on-for-all-solution” auftauchen, und somit die Versprechung nach einfachen Anleitungen sugerieren. Hier liegt die erste Herausforderung: Die Lerngruppe aus der Konsumhaltung herauszuholen – Enttäuschungsgefahr inkludiert.
“Warum sollte ich hier zuhören, wenn mir der Vorttragende nicht erzählt, wie ich etwas zu tun habe”, “Ich bekomme hier keine Kochrezepte”, “… und auch keine Anleitungen?” könnten dazu aufttauchende Widerstände sein. Nun ja, das gehört dazu, wenn man sich auf konstruktivistisches Lernen einlässt – die Expertenposition ist futsch. Aus Sicht des Lehrenden / Trainers heißt dies, dass man sich nicht auf die Expertenposition zurück ziehen kann. Auch hier kommt es zu einer Kränkung: “Meine Lösung ist nicht die einzig richtige”. Oder frei nach P. Senge ist die Meinung des Trainers “eine Lösung, möglicherweise nicht die einzige Lösung”.
“Menschen lernen, was sie selbst für notwendig erachten, nicht was jemand anders für sie lernenswert hält”
Peter Senge (* 1947)
Die Kunst besteht auch darin, dass der Irritationsagent am Beginn nicht zu stark in den Vordergrund tritt. Andernfalls könnte dies den Aufbau einer tragfähigen und vertrauensvollen Beziehung zwischen Trainer und Gruppe gefährden, und es besteht die Gefahr, dass die Gruppe in Widerstand geht. Dies könnte den gesamten Lernprozess gefährden. Am Anfang ist es wahrscheinlich wichtig, der Gruppe das Gefühl zu geben, dass ihre Themen (dazu zählen auch deren Ängste) ernstgenommen und in den Lernprozess intergriert werden.
Möglicherweise steht zu Beginn auch der sokratischen Maieut (bzw. der Geburtshelfer) mehr im Vordergrund. Oftmals ist es anfangs zielführend einige theoretische Begriffe einzuführen, damit eine Diskussion zu einem Thema möglich wird. Erfahrungsgemäß braucht es zu Beginn auch einen höheren Anteil an theoretischen Inputs, jedoch sollten diese nicht zu lange und möglichst interaktiv gestaltet werden. Idealerweise dauern diese 20 bis 30 min, jedoch max. 50 min, um im Anschluss durch einen Methodenwechsel Lernräume zu schaffen. Hierbei können die anderen Rollen wieder zur Geltung kommen: Beispielsweise der Forscher und Expitionsleiter in ein Selbsteinschätzungstest oder einem Video, der Irritationsagent in einem sozialem Experiment im Rahmen einer Übung oder der Moderator in einer Reflexion (z.B. zuerst 3er Gruppe, dann erst Plenum) oder einer Diskussion.
Es bedarf zwar einiger Anstrengung, vor allem zu Beginn, und manchmal gibt es auch widersprüchliche Erwartungen, jedoch wenn man “wirkliche” Veränderung erreichen will, ist der Ansatz des konstruktivischen Lernens möglicherweise die beste Lösung, möglicherweise nicht die einzige Lösung.
Die hier beschriebenen Beispiele lassen sich natürlich ebenso in den Organisationskontext übertragen, und tragen dazu bei die Lern- und Anpassungsfähigkeit von Teams und Organisationen zu verbessern.